Sowas

Über Reisen und anderen Kleinigkeiten im Leben …

Mit der Eisenbahn von Vilnius nach Königsberg

Mit flauem Magen sitze ich am Sonntag Vormittag um 10:45 im Bahnhofsrestaurant der litauischen Hauptstadt Vilnius. Etwa eine halbe Stunde bleibt mir um vor meiner fast achtstündigen Zugfahrt nach Königsberg, in das ehemalige Ostpreussen, noch etwas zu essen. Die Spezialität des Hauses sind Palatschinken, hier Blini genannt, in allen möglichen Variationen. Doch mir ist nicht gerade danach. Ein ordentliches Steak dauert zu lange, lässt mich die Kellnerin wissen. So bestelle ich einen griechischen Salat und dazu “Kepta Duona”. Kepta Duona ist eine billige litauische Spezialität und nichts weiter als geröstete Brotscheiben. Sie sollen mir den Magen füllen, denn ich bin mir nicht sicher ob der Zug von St. Petersburg nach Königsberg über einen Speisewagen verfügt. Mein Misstrauen hat sich dann auch bestätigt. Ein Speisewagen war in diesem Zug Fehlanzeige.

Als mir die Kellnerin meine zwei Speisen bringt, verliere ich keine Sekunde und beginne sofort mir die Sachen reinzuschlingen. Dabei blicke ich ständig auf die grosse Bahnhofsuhr an der Wand des spartanisch eingerichteten Imbisstempels. “Victoria Station – Siebzehnhundertirgendwas” steht darauf geschrieben. Die Decke ist mit einer eurasisches Landkarte und den Bahnverbindungen zu den verschiedenen Städten kunstvoll gestaltet. Von Lissabon über Omsk bis Wladiwostok.

Um 11:15 hab ich meine zwei Teller fertig weggeputzt. An der Theke beglich ich rasch meine Rechnung. Ich eile noch zur Bahnhofstoilette. Der Zug fährt zwar erst um 12:02 ein, doch wurde ich noch darauf hingewiesen dass ich 40 Minuten vorher bereit sein sollte, da es vor dem Bahnsteig noch zu einer Zoll und Passkontrolle kommt. Die Bahnhofstoilettenanlage der litauischen Hauptstadt spottete jeder Beschreibung. Letztes Jahr ist die Stadt zur sogenannten “Kulturhauptstadt Europas” auserkoren worden. Von Kultur konnte ich da aber nichts entdecken.

Vor dem Häuschen der Zoll und der Passkontrolle in der Unterführung vor dem letzten Bahnsteig des Bahnhofs wartete schon eine kleine Menschenschlange. Scheinbar fiel die Zollkontrolle heute aus. Die Passkontrolle ging relativ rasch zu Ende und so schritt man die Stiege zum Bahnsteig empor. Es war relativ warm und man spürte einen frischen Wind auf der Haut. Wenn man aber zu lange in der Sonne stand, kam man doch etwas in das Schwitzen. Der Bahnsteig war auf beiden Seiten von einem hohen Zaun umgeben. So wartete man noch etwa 15-20 Minuten bis der Zug eintreffen sollte.

Sonntag Mittag. Hauptbahnhof Vilnius, Bahnsteig 10: Warten auf den Zug.

Pünktlich um 12:02 trifft er von St. Petersburg kommend ein.

Das Abenteuer kann beginnen.

Dann war es endlich soweit. Der Zug hielt an und ich begab mich auf die Suche nach meinem Waggon. Als die Türen aufgingen kletterten uniformierte Zugbegleiterinnen heraus, die noch einmal zur Passkontrolle baten und den Fahrschein einer genauen Kontrolle unterzogen. Um Platz nehmen zu können, musste ich die junge Zugbegleiterin allerdings bitten mir die Stelle zu zeigen, an der ich mich für die nächsten Stunden zur Ruhe setzen durfte. Der gesamte Zug bestand ausschliesschlich aus Schlafwagen. Es war weder ein Speisewagen zu finden, noch Wagen mit normalen Sitzplätzen die ich von meiner Heimat gewohnt war. In meinem Waggon herrschte dicke Luft. Selbst am Gang waren Betten aufgestellt auf dem sich die müden Fahrgäste ihrem Erholungsschlaf hingaben. Überall hingen Wäschestücke und es standen halbleere Kaffeetassen und Mineralwasserflaschen herum. Schliesslich waren wir vor unserem Abteil angekommen. Es wurde von zwei Männern geteilt. Ein Junger und ein Alter. Der junge Mann war von kräftiger Statur mit kurzgeschorenen Haaren. Er machte mir sofort Platz und ich durfte am Fenster sitzen. Der ältere Herr schlief in voller Länge auf der Bank gegenüber. Er hatte einen Drei Tage Bart und sah Hubert von Goisern zum Verwechseln ähnlich. Die Zugabteile hatten alle keine Türen, und so blieb mir der Trubel am Gang nicht erspart. Hier herrschte reger Betrieb. Entweder die Fahrgäste vertraten sich einfach die Füsse, gingen auf die Toilette, oder holten sich von der Zugbegleiterin, die am Ende des Ganges ihr Kammerl hatte, schwarzen Kaffee der scheinbar kostenlos ausgegeben wurde. Dieser wurde in Massen konsumiert. Manche Fahrgäste sah ich fast jede 30 Minuten ihre Tasse von neuem anfüllen. Für mich übte dieses seltsame Gebräu aber keine Faszination aus. Mir genügte meine Mineralwasserflasche im Rucksack.

Der Zug hält. Jetzt begann die Suche nach meinem Waggon.

Die Fahrt bis zur Grenze dauerte etwa 3 Stunden. Der Weg führte über viel Natur und eine weite flache Landschaft. Die einzige Grossstadt nach Vilnius war Litauens zweitgrösste Stadt Kaunas, welche man während der Fahrt im Zug bestaunen durfte. Besonders beeindruckend dabei war der Fluss Memel (Litauisch: Nemunas) der vor der Stadt eine beachtliche Breite erreicht. Die Grenzkontrollen dauerten insgesamten 2 Stunden. Ich habe gehört dass man mit dem Auto bis zu 12 Stunden an der Grenze verbringen kann. Mit diesem Vergleich kann man mit den 2 Stunden im Zug gut leben.

Nach den langwierigen und zähen Grenzkontrollen war es schliesslich an der Zeit einmal die Zugtoilette aufzusuchen. Diese fand ich in relativ sauberen Zustand vor. Kein Vergleich mit der Bahnhofstoilette in Vilnius. Das einzige Problem fand sich nur im geringen Platzangebot. Hier musste man schon Olympiateilnehmer in Rhythmischer Sportgymnastik sein, um in gekonnten Verschlingungen seines Körpers das stark begrenzte räumliche Angebot beim Stuhlgang voll auszunutzen.

Für die restliche Fahrt durch das ehemalige Ostpreussen benötigte der Zug dann noch knappe 3 Stunden. Da neben der Bahnstrecke viele Bäume und Sträucher gepflanzt wurden, liess das Panorama etwas zu wünschen übrig. Interessant wurde es immer dann wenn in eine Stadt eingefahren wurde. Das passierte zwei Mal. Die erste Station, in der der Zug gehalten hat, war Gumbinnen. Der zweite Halt fand in Insterburg statt. Hier gab es einiges zu bewundern. Angefangen von der beeindruckenden Architektur der grauen Gebäude, bis hin zu den hübschen Russinnen die sich zahlreich in meinem Blickfeld aufhielten.

Die ersten Eindrücke der ersten grösseren Stadt im ehemaligen Ostpreussen auf dem Weg nach Königsberg: Gumbinnen.

Ein verlassener Bahnsteig irgendwo zwischen Gumbinnen und Insterburg. Hier dürfte vor dem Krieg einmal ein Bahnhof mit einem grösseren Dorf gestanden sein. Alles weg. Ein verlassener Bahnsteig ist alles was davon blieb.

Das typische Bild. Gab es kleine Siedlungen in Bahnnähe sah das meistens so aus.

Dieser ältere Herr hat sein Haus ganz nach an der Bahnlinie. Das Bild wurde zwischen den beiden Stationen Gumbinnen und Insterburg gemacht.

Der Zug fährt in den Bahnhof von Insterburg ein.

Die Landschaft vor Königsberg. Der bestellte Acker ist die grosse Ausnahme. Fast das gesamte Land liegt brach.

Schliesslich fuhr der Zug in Königsberg ein. Auch hier konnte man vor dem Halt noch so allerhand bestaunen. Gruppen von jungen Männern die an Wäschestangen ihre Kraftübungen absolvierten, fischende Familien am Wasser, Liebespaare im hohen Gras, und ältere Personen auf ihrem Spaziergang. Die Gebäude waren eher älterer Natur und nicht mehr im frischesten Zustand. Noch gut in Erinnerung ist mir ein riesiges Industriegebäude welches sich aber schon dem Verfall preisgegeben hat. Der Bahnhof der 500.000 Einwohner Stadt präsentierte sich am Sonntag Abend in geschäftigem Treiben. Man hatte grosse Mühe sich den Weg vom Zug über den Bahnsteig in die Unterführung zu bahnen. Da sah ich auch schon meinen Reiseführer, den ich im Internet gebucht hatte, mit meinem Namensschild stehen. Wir verliessen den Bahnhof und er brachte mich mit seinem Kleinbus in meine Pension. Auch in der Wartehalle und vor dem Bahnhof war alles voll von hektisch getriebenen Menschen. Unter grössten Schwierigkeiten konnten wir den völlig verparkten Bahnhofsvorplatz verlassen und befanden uns auf den Weg in meine Unterkunft.

Die ersten Häuser Königsbergs ziehen vorbei. Bald sind wir angekommen …

So sehen die Aussenbezirke aus. Manche Plätze sind menschenleer. Andere wieder dichter bevölkert.

Der erste Kirchturm taucht auf.

Einfahrt in den Bahnhof, der übrigens 1929 erbaut wurde.

Fortsetzung folgt.

3 Tage in Ostpreussen

– 23-05-2010 (10:45) … Mit der Eisenbahn von Vilnius nach Königsberg
– 24-05-2010 (08:30) … Pension Klaudia Königsberg
– 24-05-2010 (09:15) … Tapiau
– 24-05-2010 (10:00) … Russisches Frauenkloster Ostpreussen
– 24-05-2010 (11:50) … Die Kirche von Neu Argenbrück
– 24-05-2010 (12:45) … Tilsit
– 24-05-2010 (13:15) … Schalau
– 24-05-2010 (13:30) … Parteiburg von Ragnit

– 24-05-2010 (14:15) … Ragnit
– 24-05-2010 (14:30) … Memel
– 24-05-2010 (15:00) … Gross Lenkeningken
– 24-05-2010 (15:15) … Scheschuppe
– 24-05-2010 (15:45) … Hohensalzburg Ostpreussen
– 24-05-2010 (16:05) … Ostpreussen Museum
– 24-05-2010 (17:10) … Gumbinnen
– 24-05-2010 (18:30) … Insterburg
– 24-05-2010 (21:00) … Letzter Abend: Japanisch Essen in Russland
– 25-05-2010 (11:00) … Abreise: Königsberg

Ein Kommentar zu “Mit der Eisenbahn von Vilnius nach Königsberg”

  1. G. Bartling

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